Paralympics-Sportler Moritz Brückner am CvL

Sein Humor ist ansteckend: Paralympics-Sportler Moritz Brückner beeindruckt die Zehntklässlerinnen und Zehntklässler am CvL

 

Ein Unfall veränderte alles: Moritz Brückner erzählt seine Geschichte am Carl-von-Linde-Gymnasium. © Helga Fendt

Wir danken Lutz Bäucker und dem Kreisboten Kempten, dass sie diesen Artikel für unsere Homepage zur Verfügung stellen.

 

Ein Surf-Unfall verändert alles: Moritz Brückner inspiriert die Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen mit Mut und Humor, trotz Querschnittslähmung.

Von den Schülerinnen und Schülern im vollbesetzten Raum 021 des Carl-von-Linde-Gymnasums st kein Ton zu hören. Gebannt hängen 60 Zehntklässler an den Lippen von Moritz Brückner, es ist mucksmäuschenstill. Brückner sitzt in seinem Rollstuhl und schildert, warum er dort sitzt. „Ich war surfen in Chile. Und da ist es passiert, einfach so. Keine schlimme Welle, kein Felsen, nichts.“

Brückner fällt vom Board und schlägt mit dem Kopf auf den Sandboden. „Als ich mit den Beinen paddeln wollte, plötzlich mit dem Gesicht nach unten im Wasser hing, da hab ich gemerkt: Irgendwas stimmt nicht.“ Freunde holen ihn raus, legen ihn vorsichtig an den Strand: „Ich hatte mir den Hals gebrochen.“ Den Schülern stockt der Atem vollends, ihre Augen weiten sich: was für ein Schicksal.

Moritz Brückner erzählt ohne Pathos, er trifft sofort den Ton der Jugendlichen, seine erstaunlich lockere und vor allem positive Art kommt an. Heute tritt der 27-Jährige als „professional speaker“ (Zitat Brückner) vor die Gymnasiasten, als Querschnittsgelähmter, der durch offene Worte Barrieren einreißen und Menschen motivieren möchte. „Wir müssen normal miteinander umgehen“, sagt er gleich mal, „ihr dürft alle Fragen stellen, die ihr stellen möchtet.“

Gespannte Erwartung im Raum 021, gemischt mit der Ungewissheit, was da wohl kommen möge. Brückner legt los, seine Energie ist unfassbar. Seit fast sieben Jahren sitzt der in Buxheim bei Memmingen aufgewachsene Mann im Rollstuhl, er kann nicht mehr wie früher Salsa tanzen und klettern, unterhalb der Brust kann er seine Muskeln nicht mehr bewusst ansteuern, ihm fehlen Schmerz und Schwitzen („Obacht bei Hitze!“): „Ich bin ein echter Tetraplegiker“, meint Brückner und grinst. Alle vier Gliedmaßen sind mehr oder weniger gelähmt. Immerhin: „Im rechten kleinen Zeh, da spür ich manchmal was.“

Raum 021 lacht erleichtert. Moritz lacht mit, mit seinen Arm- und Handbandagen gestikuliert er wild, wirft anatomische Erklärbilder an die Tafel, stellt Fragen: „Wie viel Prozent meiner Muskeln kann ich willkürlich ansteuern, was glaubt ihr?“ Die Zehntklässler wollen es nicht glauben: Es sind nur noch fünf Prozent … Egal, sagt Brückner, besser als null.

Damit kann er selbst Autofahren in seinem Spezial-Pkw, er lebt in Ulm in einer WG mit nichtbehinderten Freunden: „Das ist schon sehr praktisch!“ – wieder lacht Raum 021 erleichtert. Nachts stellt er sich den Wecker, alle vier Stunden muss er sich herumdrehen, um nicht wund zu liegen. “Ich spür ja nix mehr.“ Auch keinen Harndrang: „Wenn‘s so weit ist, krieg ich Gänsehaut.“

 

„Diakonisches Praktikum“ am CvL in Kempten: Schüler leisten Einsatz in Alten- und Inklusionsarbeit

CvL-Schulleiter Dr. Stefan Dieter sagt später: „Das war unsere wichtigste Schulstunde des Jahres!“ Seine Schüler stimmen dem vollinhaltlich zu. Mit dieser Veranstaltung werden sie eingestimmt auf das sogenannte „Diakonische Praktikum“, die es so nur am CvL gibt. Fünf Tage lang gehen die Zehntklässler in Einrichtungen der Alten- und Inklusionsarbeit, sollen solidarischen und empathischen Einsatz kennenlernen und praktizieren.

Moritz Brückner öffnet den Schülerinnen und Schülern eine andere, manchmal schreckliche Welt, er zeigt ihnen aber auch: Auch dort geht es weiter. „Man darf sich keine negativen Gedanken machen, Optimismus ist wichtig, an die denken, die man durchs eigene Verhalten mit runterziehen könnte.“ Brückner kommt sicherlich zugute, dass er – Zitat – „Hummeln im Hintern hat, nervig fröhlich ist und immer eine Idee hat, beeinflussbare Dinge zu tun.“

Nach Monaten in Krankenhäusern und Reha-Anstalten wollte er zuerst Stand-up-Comedian werden, das wurde nichts, nun spielt er statt Gitarre eben Mundharmonika, nutzt seine kommunikativen Qualitäten als „Rampensau“ für Vorträge und Seminare und zählt darauf, als Weltklassespieler im deutschen Rollstuhlrugby-Team zu Weltmeisterschaften und den Paralympics 2028 in Los Angeles fahren zu dürfen.

„Ich durfte schon 2024 in Paris dabei sein“, seine Augen werden noch feuriger,“ echt krass, die Zuschauer, die Stimmung, das Adrenalin.“ Das trägt ihn in seiner Situation ganz besonders, das ist ihm bewusst: „Ich reite gerade eine super Welle, irgendwann kommt ein Loch. „Es kommt auf die richtige Perspektive an“, sagt Moritz Brückner beinahe mantramäßig.

Seinen Vorwärtsdrang verliert er während der 90-minütigen Veranstaltung keine Sekunde lang. Das beeindruckt jeden im Raum 021. Auch die zu erwartenden Fragen nach Sex, Blase und Darm stoppen den Mann nicht: „Untenrum geht nix mehr“, erzählt Brückner grinsend, „ist doch klar, da ist alles komplett gelöscht.“ Aber, sagt er und hebt seine etwas zittrige Hand, „ich habe Sperma von mir einfrieren lassen. Meine möglichen Kinder kosten mich schon jetzt Geld.“

Die Zehntklässler atmen durch, werden mutiger mit ihren Fragen, Brückner bleibt nichts schuldig. „Wir müssen normal miteinander umgehen“, schließt er, „wir sollten uns weitgehende Barrierefreiheit möglich machen und als Betroffener muss man die Zeit nutzen.“

Nicht nur an diesem bemerkenswerten Vormittag am CvL will der Applaus für diesen ungewöhnlichen Gast nicht enden. Die Kemptener „Margaretha-und Josefinen-Stiftung“ hat es möglich gemacht, dass Moritz Brückner sieben Kemptener Mittel- und Realschulen sowie die drei lokalen Gymnasien besucht und über sein Schicksal spricht.

Vermutlich erleben die Schüler dann mit ihm überall die wichtigste Schulstunde des Jahres …