Verantwortung verlangt Wissen

Der Journalist und Autor Jürgen Gückel war am 16.09.2021 im Carl-von-Linde Gymnasium zu Gast.

Schon zu Beginn des Schuljahres konnten die Fachschaften „Deutsch“ und „Geschichte“ am „Linde“ den Besuch von Jürgen Gückel organisieren. Dem vielfach ausgezeichneten Journalisten ist es ein Anliegen, die Auseinandersetzung mit dem NS-Staat, mit den Taten, den Opfern und Tätern nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Den Schülerinnen und Schülern erklärte er in zwei Lesungen, wieso ihm dieses Anliegen so wichtig ist. Gückel erlebte als Grundschüler, wie sein Lehrer Artur Wilke wegen seiner Taten im sog. „Dritten Reich“ verhaftet wurde. Bis 1961 hatte der Kriegsverbrecher, der an mehreren tausend Morden beteiligt war, unter der Identität seines gefallenen Bruders Walter, des Volksschullehrers in Stederdorf, gelebt. Dem Publikum wurde somit die sehr persönliche Perspektive des Verfassers offenbart. Die Geschichte, die bei den Zuhörern großes Erstaunen und Interesse hervorrief, hat er in dem Buch „Klassenfoto mit Massenmörder“ anschaulich dargestellt. Dadurch erfuhren die Jugendlichen, dass die Aufarbeitung erst spät begonnen hat und noch viele Dinge kaum bekannt sind und anderes unfassbar. Hat in Stederdorf, dem Ort der Handlung, niemand den Unterschied zwischen den beiden Brüdern, die keine Zwillinge waren, bemerken können? Warum haben die Freundin Walters und seine Freunde vom Handball geschwiegen, als der Fußballer Artur die Rolle seines Bruders einnahm? Gückel mahnte, obwohl der Stoff wie Fiktion klinge und sogar verfilmt werde, sei er Realität.

In der Abendveranstaltung, die in der gemäß den Corona-Regeln gut besetzten Turnhalle des Gymnasiums stattfand, präsentierte der niedersächsische Autor ein weiteres Beispiel für den unglaublichen Umgang mit den NS-Tätern nach dem sog. „Dritten Reich“. Gückel erzählte, aus Peine, einer niedersächsischen Kleinstadt, in deren Nähe er beheimatet ist, führen Jugendliche nach Auschwitz und begegneten dort dem Schrecken des Konzentrationslagers. Dass der Kommandant  des Lagers, Fritz Hartjenstein, aus eben dieser Stadt kam, sei aber nahezu unbekannt gewesen. An der Biografie Hartjensteins stellte Gückel dar, wie es dem SS-Mann gelungen ist, drei Todesurteile zu überleben und in Freiheit eines natürlichen Todes zu sterben.

Der Lesung aus dem jüngst erschienen Buch „Heimkehr eines Auschwitzkommandanten. Wie Fritz Hartjenstein drei Todesurteile überlebte“ schloss sich eine engagierte Diskussion an; viele Fragen zeigten dabei das Unverständnis sowohl über die Täter als auch über das Verschweigen. Zum Abschluss forderte Gückel auf, die Geschichte der eigenen Heimat und der eigenen Familie zu erforschen. Verschweigen habe es überall gegeben, aber um Verantwortung zu übernehmen und eine Wiederholung von Unrecht zu verhindern, sei Wissen über die Vergangenheit und Bereitschaft zur Beschäftigung mit ihr notwendig.

 

Zurück